Standort Singen / Station Brauerei Schmitt

„Wirklich exzellent!“ So urteilt das deutsche Bier-Lexikon. Auch viele andere Tester und Experten ordnen das am Singer Berg gebraute Bier unter die besten in ganz Deutschland ein. Was aber ist das Geheimnis des kühlen Blonden, das aus der wohl kleinsten Brauerei Deutschlands stammt und eigentlich nur im Dorf selbst verkauft wird?

Singen - den Ort kennt so ziemlich jeder Thüringer Bier-Freund. Würde man allerdings ein Umfrage auf dem Anger in Erfurt, dem Marktplatz in Weimar oder in der Eisenacher Fußgängerzone starten - das Ergebnis wäre wohl Kopfschütteln. Denn: Singen liegt zwar mitten in Thüringen, trotzdem aber fernab von Autobahn und quirligen Schnellstraßen irgendwo zwischen Ilmenau und Stadtilm im Grünen. Wer den Ortsteil des Gemeindeverbundes Ilmtal sucht, der muss mit dem Finger schon ganz schön lange auf der Landkarte kreisen, um den Flecken mit seinen schönen Fachwerkhäusern zu finden. Aber hat man ihn erst einmal gefunden und wagt eine Tour dorthin - es lohnt sich durchaus. Nicht nur wegen des Bieres. Man kann herrlich wandern, im Sommer gibt es Steinpilze rings um den Berg und die Aussichten weit ins Land zählen zu den schönsten in Thüringen.

Der kleine Ort hat um die 400 Einwohner und schmiegt sich eben an jenen Berg, der ihm den Namen gab. Singen wurde im Jahre 1294 erstmals erwähnt und war klostereigenes Dorf des Klosters Paulinzella. Im Internet kann man nachlesen: „Durch Singen führten die Nürnberg-Erfurter Landstraßen. Hinter dem Ort war dann der Weg frei bis Hamburg. Diese Verbindung gehörte zu den Hanseschen Handelsstraßen. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie rege genutzt.“ Dies könnte eine erste Antwort auf die Frage sein, warum gerade hier eine Brauerei stand, die ihr Bier den damals Durchreisenden feil bot. Sozusagen als Wegzehrung in Richtung Hamburg. Die Geschichte der Singer Brauerei beginnt also mit der Entstehung einer Fuhrmannsschenke, etwas außerhalb des Dorfes, an der alten Nürnberg-Erfurter Landstraße. Sie verlief von Königsee kommend, durch die Singer Flur hinab ins Ilmtal. Eine lange Pappelallee erinnert noch heute an diese Straße. Die Ausspanne am Ortsrand von Singen bestand im 17. Jahrhundert nachweislich aus einem Gasthof mit sechs Zimmern, einer Schmiede nebenan und einem Brauhaus. Eigentümer war zunächst die Landesherrschaft, seit 1712 die Gemeinde Singen.

Spannend liest sich die weitere Geschichte

1805 bemühte sich die Gemeinde Singen bei der Landesherrschaft in Rudolstadt um die Erlaubnis, für die Gemeindeschenke ein Wirtshausschild mit dem Bild eines Auerhahnes führen zu dürfen. Als Begründung wurde angeführt, das man dieses Recht schon früher besessen habe. Man pochte sozusagen auf sein Gewohnheitsrecht. 1855 veräußert die Gemeinde den Gasthof mit allen Rechten und Pflichten für 1142 Gulden an den Einwohner Nicol Friedrich Möller, der ihn am 20. Februar 1867 seiner Tochter Antonie Louise Selma und deren Ehemann, dem bisherigen Gastwirt Ernst Heinrich Jacobi zu Gösselborn, weiterverkaufte. 1875 gründet Jacobi die Brauerei, die er dann im März 1885 an den Braumeister Richard Schmitt aus Kornhochheim bei Neudietendorf für 9000 Reichsmark weiter veräußerte. Warum er das tat? - das weiß keiner so recht. Der neue Besitzer aber zog mit seiner Familie nach Singen - und jeweils die nächste Generation übernahm den Braubetrieb.

 „Mir blieb wohl nicht sehr viel anderes übrig“, sagt Urenkel Uwe Obstfelder heute. Die seit 1976 unter Denkmalsschutz stehende Anlage besteht aus einem zwischen zwei Eiskellern an einen Sandsteinhang errichteten Betriebsgebäude, das durch einen größeren massiven Anbau erweitert wurde. Zur Brauerei gehören zwei Teiche zur Eisgewinnung und eine eigene Quelle. Hier also die nächste Antwort auf die Frage nach der Qualität des Bieres: Das Quellwasser aus dem Berge. Die Eiskeller sind in den Felsen gehauen, nur die oberen Teile wurden massiv aufgemauert. Das Eis wurde einst per Rutschen auf den Berg gebracht und durch Luken in die Eiskeller hinein geworfen. Die gesamte technische Ausrüstung zur Würzeherstellung, der Kühlung sowie der Gärung und Reifung, Filtration als auch der Faßabfüllung wurde zwischen 1885 und 1925/1940 installiert und in Betrieb genommen. Die Maschinen stehen heute noch so da wie damals und sie stellen teilweise technische Unikate dar. Sie sind, abgesehen von altersbedingten Verschleißerscheinungen, vollständig betriebsfähig. Die erforderliche Kraft für den Maschinenbetrieb kann noch heute von einer Dampfmaschine aus dem Jahre 1921 erzeugt werden, deren Kraft durch Transmission weitergeleitet wird.

Thüringer Denkmalsschützer geraten ins Schwärmen: „Die Braustätte Singen stellt in ihrer technologischen Ausrüstung eine Besonderheit dar. Der Brauvorgang wird nach alter handwerklicher Tradition durchgeführt“. Hier also haben wir die dritte Antwort auf die Frage nach der Spitzenqualität: Die uralte Tradition. Es sind überlieferte Rezepturen, gute Zutaten und das Gefühl für die Mischung. Richard Schmitt versuchte, trotz der starken Konkurrenz der wesentlich größeren Brauereien in Stadtilm, Watzdorf und Rudolstadt seinen Betrieb technisch auf dem jeweiligen Stand der Zeit zu halten. Durch den Bau eines neuen Gär- und Lagerkellers war Schmitt in die Lage versetzt, größere Gärbottiche und Lagerfässer aufstellen zu können. Durch diese baulichen Veränderungen konnte auch die Bierproduktion erhöht werden. Von wesentlichem Vorteil war, dass das auf dem Brauereiteich gewonnene Natureis für eine annähernd konstante Kühlung des Lagerbieres im ganzen Jahr sorgte.

Noch ein Grund fürs gute Bier also: Der Bio-Kühlschrank hinterm Hause. Richard Schmitt starb 1932, sein Sohn Oskar Schmitt, führte den Betrieb bis 1974 weiter und übergab die Brauerei dann an Tochter Edith, verheiratete Obstfelder. Sie führte den Betrieb gemeinsam mit ihrem Mann weiter, bis sie ihn 1995 an ihren Sohn, den Braumeister Uwe Obstfelder, übergab. 

Doch in Singen wird nicht nur das Bier gebraut, man kann es gleich vor Ort verkosten. Denn zur Brauerei gehörte traditionell auch ein Ausschank und seit 1887 eine eigene Gaststätte. Schmitt hatte die Gemeindeschänke zunächst pachtweise und dann ab 1892 durch Kauf an sich gebracht. Heute ist Uta Richter Inhaberin des Gasthauses „Zum Singer Berg“ und es gibt natürlich das Bier von nebenan. 1911 eröffnete Schmitt eine zweite Gaststätte neben dem Eisenbahnhaltepunkt Singen, die es inzwischen allerdings nicht mehr gibt. Die Brauerei lieferte vor 1914 an 13 Schankwirtschaften und Gaststätten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Betrieb nochmals erweitert. Man schaffte eine Flaschenwaschmaschine sowie einen Abfüllapparat an, um auch Flaschenbier ausliefern zu können. In den darauf folgenden Jahren blieben die alten Maschinen und Geräte fast unverändert erhalten und stets in Betrieb, so dass bis heute Bier „wie vor hundert Jahren“ gebraut wird.

Im Sudhaus wurde die verschlissene Braupfanne 1989 durch eine neue ersetzt und das so gut, dass der Besucher es augenscheinlich nur schwer erkennen wird. Auch das Kühlschiff erneuerte man. Überhaupt wurde in DDR-Zeiten einiges unternommen, um den Bestand der Museumsbrauerei zu erhalten. Dabei hatte es der kleine Privatbetrieb sicher nicht leicht, inmitten volkseigener Konkurrenz zu überleben. Einen Vorteil aber genoss die Brauerei Schmitt: Ihr herzhaftes Bier galt zu DDR-Zeiten sozusagen als gefragtes Zahlungsmittel - zumindest und vor allem unter Männern. Immer wieder modernisierte man sensibel, ohne aber den historischen Bestand zu gefährden. 1993 beispielsweise konnte ein neuer Holzgärbottich, gefertigt in der Böttcherei Schöne in Wiehe, aufgestellt werden. Alle notwendigen Ersatzanschaffungen jedenfalls passen sich bis heute ausgezeichnet dem Gesamtbild an. Der aktuelle Braualltag ist wie vor über 100 Jahren mit harter Arbeit verbunden. Jede Woche wird einmal gebraut, wobei bis zu 2000 Liter Würze hergestellt werden. Ist diese nach 8 Tagen vergoren und das entstandene Jungbier nach 4 bis 5 Wochen Lagerzeit ausgereift, wird der größere Teil des fertigen Bieres in Fässern, der kleinere in Flaschen abgefüllt und verkauft. Noch heute werden die Etiketten von Hand aufgeklebt. Insgesamt kommen jedes Jahr zwischen 600 und 800 Hektoliter Bier zusammen.

Mit den Jahren ist es ruhiger geworden um die historische Mini-Brauerei an den beiden kleinen Teichen am Rande des Ortes. Heute meint man, die Zeit ist stehen geblieben. Im Sommer duften die Linden über den Biertischen. Vorm Eingang lagern die alten großen Fässer aus Holz und oben auf den Dächern stehen die rot gemauerten Schornsteine. Sie erinnern daran, dass der Betrieb einst über die Dampfmaschine lief, die heute noch funktioniert.

Eines steht fest: Singen wäre ohne seine Brauerei ein kleines weithin unbekanntes Dorf wie viele andere auch. Uwe Obstfelder ist nicht nur der letzte Brauer in Singen - er bildet auch die gesamte Belegschaft des Unternehmens. Denn: Es ist ein Ein-Mann-Betrieb, in dem einmal in der Woche am Dienstag gebraut wird. Jeweils mittwochs wird das Bier in die Fässer gefüllt, am Donnerstag in die Flaschen. Da das meiste per Hand geschieht, müssen eben Helfer her. Die zu finden, ist gar nicht so leicht, sagt Uwe Obstfelder. Doch ein Lockmittel hat er immer in der Hinterhand: Das frische Bier aus Singen.

 

Brauerei Schmitt
Inhaber Uwe Obstfelder
Brauereiweg 1
99326 Ilmtal OT Singen
Tel.: 03629 802556
E-Mail: info@brauerei-schmitt.de
 
Öffnungszeiten:
Dienstag-Sonntag von 10-19 Uhr, Montag Ruhetag
 
Für eine Führung durch unsere Museumsbrauerei melden sie ihre Gruppe vorab bei uns an. Termine lassen sich flexibel passend zu ihrer Tour vereinbaren. Nutzen sie dazu unsere Kontakt Möglichkeiten.
 

https://brauerei-schmitt.de

 

 

 

Brauerei Schmitt
Brauerei Schmitt
Braumeister Obstfelder mit einer seiner Bierspezialitäten
Braumeister Obstfelder mit einer seiner Bierspezialitäten
Der Braumeister bei seiner Arbeit
Der Braumeister bei seiner Arbeit
Ein Glas frisch gezapftes Pils.
Ein Glas frisch gezapftes Pils.
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